Intro-Lobby

Ich brauche abends eher Ruhe als Geselligkeit, um meine Batterien wieder aufzuladen und bin auch gerne mal alleine. Typisch Intro, also 😉 Und ich käme damit auch wunderbar zurecht, wenn da nicht dieses blöde Gefühl wäre, immer wieder höflich abzulehnen. Vor allem berufliche Kontakte möchte ich nicht noch gerne mit in den Abend nehmen. Das stößt andere Menschen manchmal vor den Kopf, weil es ungesellig, abweisend oder schlicht unhöflich rüberkommt. In unserer Extro-Welt ist es deutlich akzeptierter, mit den Kollegen nach Feierabend noch zum Bowling, zum gemeinsamen Kochkurs oder ins Kino zu gehen. Oder auf den Events des Kunden zu erscheinen, um sich auch mal wieder abseits der Geschäftsbeziehungen auszutauschen. Wer sich da rausnimmt, dem wird schnell mangelndes Interesse am Gegenüber attestiert. Und wer abends einfach nur zu Hause ist, der ist langweilig und irgendwie seltsam. Blöd.

 

beruflicher Kontakt nach feierabend bitte nicht

Ausrede oder ins Aus schießen?

Einfach nur zu sagen, dass ich keine Lust und Energie habe, geht gefühlt irgendwie gar nicht. Also müssen höfliche Ausreden her, die dann zumindest so halbwegs akzeptiert sind. Ich kann nicht wegen der Kinder (stimmt oft auch ganz ohne eine Ausrede zu sein), ich fühle mich nicht gut, ich habe noch viel Arbeit usw. Das hat den Vorteil, dass es vom Gegenüber oft eher akzeptiert wird, ohne diesen Nerd-Touch zu hinterlassen. Fühlt sich aber trotzdem nicht ganz richtig, sondern ziemlich blöd an. Ich möchte nicht zwischen Ausrede oder mich selbst ins Aus schießen wählen müssen, sondern eine dritte Option haben. Eine ohne Rechtfertigung und ohne blöden Nachgeschmack. Nur wie könnte das funktionieren?

 

Wir brauchen eine Intro-Lobby

Ich bin mir sicher, dass es vielen so geht wie mir. Weil sie sich aber bestimmt genauso blöd dabei fühlen, hangeln sie sich eben mit dem Notnagel höfliche Ausrede durchs Leben, um sich selbst keine Nachteile einzuhandeln. Aber das ist doch eigentlich schade, findest du nicht? Warum ist es ok, wenn man Lust auf Party hat, nicht aber, wenn man lieber daheim bleibt? Wäre es nicht viel schöner, wenn wir uns gegenseitig den Raum geben könnten, den wir brauchen? Damit das möglich ist, müssen wir aber erst einmal darauf aufmerksam machen, was wir brauchen und uns momentan nur über lästige Hintertürchen holen. Lasst uns eine Intro-Lobby gründen, die sich dafür stark macht, dass es völlig normal ist, abends nicht mehr mitzugehen oder die Kollegen eben nicht noch in der Freizeit treffen zu wollen. Dass es genauso normal ist, ein leiser Mensch zu sein und kein lauter. Ohne Wertung, einfach weil es ok ist, dass jeder seine eigenen Entscheidungen trifft.

Dieses Verständnis fehlt noch so sehr, weil dieses ganze Themenfeld Introversion ein noch so unbeachtetes ist. Allein die Bildersuche für diesen Beitrag bestätigt das auf Neue: Gruppenbilder sind ausgelassen und super happy, Alleinsein nahezu immer trist und traurig visualisiert…

Intro, bitte melde dich!

Wenn wir aber ja wissen, dass wir nicht sonderbar sind und es anderen genauso geht wie uns, schaffen wir es dieses blöde Gefühl loszuwerden. Wenn viele das Bewusstsein dafür schaffen, was leise Menschen brauchen, ermöglichen wir eine Akzeptanz leiser Bedürfnisse. Das wäre doch zumindest einen Versuch wert, oder nicht?

Bist du dabei? Dann trau dich und melde dich einfach mal, wenn du das alles kennst und nicht mehr möchtest. Wie sind eine Erfahrungen? Hast du Tipps, wie du mit weniger Ausreden und dafür mit mehr Ehrlichkeit argumentierst? Willst du einfach nur loswerden, dass es dir manchmal so geht wie mir? In den Kommentaren ist Platz dafür – du wirst mich doch jetzt nicht mit diesem blöden Gefühl alleine lassen, oder?! 😉

 

Höfliche Ausreden sind passé: Wir brauchen eine Intro-Lobby!

6 Kommentare zu „Höfliche Ausreden sind passé: Wir brauchen eine Intro-Lobby!

  • 18. Juni 2018 um 21:10 Uhr
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    Danke für diesen Beitrag, der hilft mir persönlich sehr! Denn, ich kenne diese Situation nur zu gut und stelle mir immer wieder genau diese Fragen. Bei manchen Personen fällt es mir mittlerweile leichter, einfach ehrlich zu mir und meinen Bedürfnissen zu stehen. Das klappt oft bei den Menschen, die mich schon ganz gut kennen und selbst nicht ein komplett anderes Temperament haben. Es tut total gut, ehrlich zu sein und bei Treffen und Terminen frei zu entscheiden, ohne sofort in die Suche nach Ausreden abzudriften.
    Bei anderen Personen (leider auch im familiären Umfeld) ist es aber total schwer, weil ich schon vorab das Gefühl habe, dass diese mich einfach nicht verstehen (wollen oder können) und unterschwellig immer davon ausgehen, dass ich „mehr aus meinem Leben machen“ sollte. Das ist total unbefriedigend, weil man ständig Gefahr läuft, sich zu sehr zu verbiegen oder diejenigen vor den Kopf zu stoßen. Oft habe ich einfach Angst, dass meine Zurückhaltung als Ablehnung verstanden wird.
    Es wäre großartig, wenn mehr Informationen über die ganz normalen Bedürfnisse (sehr) introvertierter Menschen im Umlauf und weiträumig anerkannt wären.
    Bis dahin freue ich mich, wenn es Menschen gibt, die das Problem teilen und sich ebenso wie ich damit auseinandersetzen, das tröstet und motiviert! Ja, wirklich ein bisschen wie eine Lobby 🙂

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  • 18. Juni 2018 um 21:47 Uhr
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    Annika, es ist so schön, dass du hier schreibst: Herzlich willkommen! Genau diese Angst davor, andere könnten sich abgelehnt oder persönlich zurückgewiesen fühlen, kenne ich so gut. Es ist wirklich enorm wichtig und mir auch eine Herzensangelegenheit, dass wir Introversion aus der dunklen Ecke holen und als völlig normale Wesensart ins Licht stellen. Je mehr wir sind, die dafür einstehen sich nicht weiter verstellen zu müssen, umso eher wird uns das gelingen. 🙂 Und wenn wir uns bis dahin zumindest verstanden fühlen, ist das doch auch schon ein großer Schritt.

    Ganz liebe Grüße
    Sonja

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  • 16. Juli 2018 um 0:23 Uhr
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    Es gibt mehr von uns als man denkt 🙂 Mir hilft es, mir auch immer wieder bewusst zu machen: Es ist völlig ok so zu sein wie ich bin. Man muss und sollte es niemandem Recht machen und es ist völlig egal, was andere denken. Die richtigen Leute kennen und mögen einen, so wie man ist.

    Und vor allem muss man seine Entscheidungen und Meinung nie rechtfertigen. Es reicht auch, mit etwa diesen Worten freundlich abzusagen: “Ich mag euch, aber ich komme nicht mit. /nehme nicht teil.” Und wenn dann nachgefragt wird, warum, einfach freundlich wiederholen: “Ja, es ist schade, aber ich komme nicht mit.” Und Punkt. Jeder kann doch tun und lassen, was er oder sie will. Wir Introvertierten müssen uns doch auch abfinden, wie laut und extrovertiert manche sind – wieso sollte es nicht ok sein, still und manchmal zurückgezogen zu sein? Ich finde auch, nur wenn wir Ruhigen zu uns und unserem Charakter stehen, können andere lernen, dass es auch Menschen gibt, die einfach anders ticken. Wem das nicht passt, wie wir sind – Pech gehabt, dann ist das sein Problem, und nicht unseres.

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    • 16. Juli 2018 um 7:53 Uhr
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      Hallo Anja,

      zu hören, dass es auch anderen Menschen so geht, tut tatsächlich sehr, sehr gut. Deshalb schreibe ich hier ja auch und freue mich umso mehr, wenn der eine oder die andere das bestätigen kann und sich angesprochen fühlt. 🙂 Das mit der Rechtfertigung sehe ich grundsätzlich absolut so wie du, finde es aber trotzdem sehr schwierig, es immer so umzusetzen. Im privaten Umfeld möchte man niemanden verletzen (tut man ja auch nicht bzw. gibt es keinen Grund dafür, wenn denn das Verständnis da ist) und im beruflichen Umfeld möchte man ja auch niemanden vor den Kopf stoßen. Aber ja, insgesamt sollten wir tun, was wir leisten können, um ein Verständnis für Introversion und das Bedürfnis nach Ruhe zu schaffen. Dann ist das irgendwann hoffentlich völlig normal und wird nicht mehr kritisch beäugt. 🙂

      Liebe Grüße
      Sonja

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  • 4. November 2019 um 22:53 Uhr
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    Hallo Sonja,

    mir geht es genau wie Dir: Ich bin auch gern alleine und habe selten Interesse an geselligen Runden. Mit 1-2 (netten) Leuten mag ich gerne zusammen sein, aber alles ab 5 wird schon anstrengend. Im Beruf muss das manchmal sein, aber nicht privat.

    So langsam nähern wir uns wieder der Weihnachtszeit und die ersten Leute kommen schon wieder auf die Idee “gesellige Runde zur Vorweihnachtszeit” zu planen: Ein gemütlicher Abend mit 20 Leuten, groooßartig. 🙂 Bis vor ein paar Monaten war ich noch in einem Tanzkurs, der Freitags Abends stattfand. Da wurde dann immer nach dem Training noch das eine oder andere Fläschchen Sekt geleert. Und ein wechselnder Spruch gehörte dazu: “Heute läufst Du mal nicht weg!”, (Wie bitte? ) “Ihr müsst heute alle bleiben, ich hatte Gebutstag/habe eine Prüfung bestanden/habe noch einen Sekt zuhause/endlich mal wieder feucht durchgewischt/…” Was es auch immer war.

    Früher habe ich sowas immer zähneknirschend ertragen und war danach total gestresst. Heute denke ich mir: Leute, ihr verschwendet meine Zeit! Das mache ich nicht mehr mit.

    Wenn ich die Leute besser kenne, versuche ich es manchmal mit der Wahrheit, aber Erklärungen, wie “ich fühle mich in größeren Runden nicht wohl” o.ä. führten bisher nie zu Verständnis, sondern nur zu Ablehnung. Die Leute nehmen sowas eigentlich immer persönlich. Bei Leuten, bei denen ich mich wohlfühle, komme ich nie in so eine Situation, weil diejenigen so ticken wie ich und selbst vor “geselligen Runden” weglaufen würden! 🙂 Die anderen können mich gerne seltsam, merkwürdig oder wie auch immer finden!

    Deshalb meine Strategie: “Ich komme nicht!”. “Warum nicht?”. “Ohne Begründung!” (freundlich! 🙂 )Punkt. Sobald man anfängt sich zu rechtfertigen, hat man bereits verloren. Die Diskussion ist dann sofort beendet, meist auch ohne negative Konsequenzen. Und wenn doch: Es gibt viele nette Menschen auf dieser Welt! 🙂

    Viele Grüße
    Christoph

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    • 5. November 2019 um 7:41 Uhr
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      Hallo Christoph,

      danke für deinen Kommentar und dass du deine Erfahrungen teilst. Ich finde es großartig, dass du deinen Weg hin zu einer höflichen Absage findest. Ich fahre damit bisher auch ganz gut und meist kommt auch keine blöde Reaktion. Die Weihnachtszeit wird uns wieder seeehr viel Gelegenheit geben das zu trainieren, du sagst es. 😉

      Viele liebe Grüße und weiterhin frohes Grenzenstecken
      Sonja

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